Karibik einmal anders

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09.-13. Februar 2023

Nachdem ich Peristera im Hafen der Blue Lagoon verlassen habe, dauerte es einige Tage, bis ich zu meinem nächsten Ziel – Antigua – weitereisen konnte. Zeit, sich am Beispiel St. Vincent einmal intensiver mit dem Thema Land und Leute auseinanderzusetzen. Im folgenden Beitrag geht es also vorrangig darum, wie sich die Karibik abseits der Traumstrände darstellt.

Zunächst ist zu sagen, dass die Inseln der Kleinen Antillen ziemlich unterschiedlich sind. Generell kann man sagen, dass je größer die Nähe zu Europa ist, desto mehr fühlt man sich an Europa erinnert. So setzen beispielweise die British Virgin Islands Maßstäbe in punkto Sicherheit. Auf der anderen Seite sind Inselstaaten wie St. Lucia, St. Vincent oder Grenada mehr oder weniger komplett unabhängig und auch sehr viel ursprünglicher.

Jeder kennt jeden

Die Bewohner von St. Vincent sind äußerst kommunikativ. Jeder kennt hier gefühlt jeden und so wird sich ständig begrüßt und gequatscht. Da schreit man sich dann auch schon mal über 50 m über die Straße hinweg an – es geht also alles auch sehr laut zu. Sitzt man im Auto wird bei jeder Bekanntschaft kräftig gehupt, um auf sich aufmerksam zu machen und im Vorbeifahren wenigstens einen Gruß über die Straße zu brüllen. Dies alles führt zu einem starken Zusammengehörigkeitsgefühl und auch Neue (wie beispielsweise ich) werden umgehend mit eingebunden. Am Beispiel von Sint Maarten konnte man sehr schön sehen, wie schnell das geht und man in der Kneipe allseits begrüßt oder auf der Straße zur Mitfahrt eingeladen wird. Dieses Miteinander ist sicher eine der auffälligsten Eigenschaften dieser Inseln, die es so in Deutschland nicht gibt.

Die Straßen

Die Straßen sind hier in der Karibik schmal, sehr steil und kurvig. Steigungen über 20% sind hier keine Seltenheit und für viele Touristen ist das ein Grund, sich gegen einen Mietwagen zu entscheiden. Die Qualität der Straßen lässt leider zu wünschen übrig. Überall gibt es teils riesige Schlaglöcher die man umfahren muss. Mangels Platz gibt es in der Regel auch keine Gehwege was aber nicht besonders viel ausmacht, da die meisten Einheimischen sowieso jeden Meter mit dem Auto zurücklegen. Meine Bemerkung gegenüber meiner Vermieterin, dass ich zum Botanischen Garten laufen will (ca. 30 Minuten Fußweg) wurde dann auch mit ungläubigem Staunen und Kopfschütteln quittiert.

Da es auf diesen Inseln häufig kurz aber sintflutartig regnet, gibt es dafür neben den Straßen tiefe Kanäle für den Abfluß des Wassers.

Der Verkehr

Auf den Inseln gibt es nur auf den Hauptstrecken ein Busnetz. Daher verfügen die meisten Insulaner über ein mehr oder weniger fahrtüchtiges Auto. Und sind damit auch ständig unterwegs. Das wichtigste Instrument im Verkehr ist die Hupe. Sie ist gleichermaßen Warnung an andere Verkehrsteilnehmer, Warnung vor unübersichtlichen Stellen, Begrüßung, Auf-sich-aufmerksam machen oder einfach nur just for fun. Es wird jedenfalls laufend gehupt und mit etwas Übung kann man an der Art des Hupens tatäschlich erkennen, welchem der oben genannten Zwecke das Hupen gerade dient. Gefahren wir je nach Insel mal rechts, mal links, immer jedoch so schnell es geht. Daher haben die nördlicher gelegenen Inseln eine Vielzahl hoher Schwellen auf den Straßen angebracht, um den Verkehr sicherer und die verbliebenen Fußgänger besser zu schützen. Ist man mit dem Mietwagen unterwegs, bremst man in den Orten im 50 m Takt das Auto bis auf nahe 0 km/h herab, um das Fahrwerk nicht zu beschädigen. In St. Vincent fehlen diese Schwellen dagegen vollständig, was man wiederum sofort bedauert, wenn man statt mit dem Mietwagen mit dem Bus fährt!

Wir fahren mit dem Bus

Das Fahren mit dem Bus ist in St. Vincent ein echtes Erlebnis der besonderen Art. Mein erster Versuch, mit dem Bus von der Hauptstadt Kingstown zur Wallilabou Bay zu fahren, ist erst einmal grandios gescheitert. Ich war für diesen Trip schon etwas spät dran, als ich endlich den zentralen Busbahnhof gefunden habe, war dieser hoffnungslos überfüllt. Den Busbahnhof stellt man sich am Besten als ein riesiges Gewusel von Kleinbussen, Menschen und Straßenhändlern vor. Der Lärmpegel ist enorm. Er wird durch die „Kondukteure“ bestimmt, die in voller Lautstärke Passagiere für Ihren Bus suchen, sowie durch die Straßenhändler, die ihre Waren anpreisen.

Leider gibt es an den meisten Bussen keinen Hinweis darauf, wohin sie fahren, da besagter Kondukteur die Endhaltestelle, die der jeweilige Bus anfährt, lautstark herumbrüllt. Dies natürlich in der lokalen Sprache, die nur noch wenig mit dem ursprünglichen Englisch zu tun hat. „Tschaaatn“ bedeutet beispielsweise, dass ein Bus nach “Georgetown” im Nordosten der Insel fährt. Und dabei auch gleichzeitig am Internationalen Flughafen der Insel vorbeikommt. Ich frage also den erst besten Busfahrer nach dem richtigen Bus. Da er leider mit dem Begriff „Wallilabou Bay“ nichts anfängt, werde ich weiter geschickt, bekomme aber gleich im zweiten Anlauf den richtigen Bus gezeigt. Dieser fährt jedoch gerade ab wobei sich mein Bedauern in Grenzen hält, der er komplett mit Passagieren vollgestopft ist. Sie quellen schon fast sprichwörtlich aus sämtlichen Fenstern heraus. Damit sind wir auch gleich bei einer Besonderheit des Bussystems in St. Vincent, dass es so auf den nördlicher gelegenen Inseln nicht gibt: Jeder Bus verfügt neben dem Busfahrer noch zusätzlich über einen „Kondukteur“. Dieses altdeutsche Wort beschreibt seine Rolle am Besten. Der Kondukteur sitzt oder steht neben der hinteren Schiebetür für die Fahrgäste. Seine Aufgabe besteht darin, so viel Passagiere anzuwerben und anschließend in den Bus zu packen, wie nur irgend möglich. Da wir hier über Kleinbusse á la VW Bus reden, werden auf die 4×3 Sitze ganze 16 Passagiere verteilt. Kleinkinder und ihn selbst natürlich nicht mitgerechnet. Dazu kommt natürlich noch das ganze Gepäck – am Samstag beispielsweise riesige Tüten mit den Einkäufen für die ganze Woche. Will jemand aussteigen, steigt erst einmal der halbe Bus aus, bis derjenige der eigentlich den Bus verlassen will, überhaupt aussteigen kann. Danach werden alle vom Kondukteur wieder in den Bus verstaut inklusive eventueller neuer Gäste und des Gepäcks. Kommt der Bus an einer Bushaltestellt vorbei, an der zwar Leute stehen aber niemand aussteigen will, schreit der Kondukteur den Wartenden die Endhaltestelle zu („Tschaaatn“). Zuckt jemand, macht der Bus eine Vollbremsung und derjenige wird eingesammelt.

Der Komfort einer Fahrt wird überwiegend vom Fahrer bestimmt. Hier ist vom normalen Raser bis zum Formel 1 Aspiranten alles vertreten. Federung und Dämpfer sind meist in einem üblen Zustand und so wird jede Fahrt zwangsläufig zu einem hervorragenden Bauchmuskeltraining.

Eines jedoch haben die Busse aller Inseln den deutschen Bussen eindeutig voraus: die Fahrt verläuft häufig an der Küste entlang und erlaubt immer wieder spektakuläre und wunderschöne Ausblicke aufs Meer.

Strassenhändler

In St. Vincent gibt es an jeder zweiten Ecke Straßenhändler. Diese verkaufen in der Regel Obst und Gemüse und haben häufig die bessere Ware als die Supermärkte. Und wenn man dazu aufgelegt ist und Zeit hat, ist auch ein kleines Schwätzchen drin und man geht nicht nur mit dem geplanten Einkauf nach Hause, sondern auch noch mit dem „besten Bananenkuchen der Insel“ und der gesamten Lebensgeschichte der Verkäuferin. Einkaufen kann richtig Spaß machen!

Müll

Müll ist leider ein Thema auf den Inseln. Er wird überall entsorgt und alle Anstrengungen der Gemeinde, das zu unterbinden, kommen dagegen nur schwer an. Dabei ist die Entsorgung von Müll in der Öffentlichkeit mit hohen Strafen bis hin zu einem halben Jahr Gefängnis belegt. Erstaunlicherweise führt der Müll jedoch nicht zu einer Rattenplage. Das liegt wahrscheinlich daran, dass alles Eßbare bereits von den zahlreich herumstreunenden Hunden und Hühnern vertilgt wird.

Musik

Ein Leben ohne Musik ist für die Menschen auf St. Vincent nicht vorstellbar. Sie tönt überall aus den Häusern, den Autos, im Bus, auf der Straße, auf dem Markt und so weiter. Ein schönes Beispiel dafür war ein Auto, dass in den hinteren Fenstern fette, nach außen gerichtete Lautspreche montiert hat. Die waren natürlich in voller Lautstärke aufgedreht und beschallten während dem Fahren die gesamte Straße. Bei meiner letzten Busfahrt zum Flughafen von St. Vincent waren zwei Lautsprecher hinten über dem letzten Rücksitz montiert. Ich hatte einige Mühe, meinen Kopf davor in Sicherheit zu bringen, da der Fahrer mal wieder mit Vollspeed unterwegs war.

Da jetzt gerade Karneval vor der Tür steht, üben die Steelbands jeden Tag in den Abendstunden und füllen die Luft mit Ihrem herrlichen Sound. Hinter dem Begriff Steelband verbergen sich 2-x Musiker, die jeder mit einer Blechschüssel und zwei Schlagstöcken ausgestattet sind. Damit erzeugen sie die unglaublichsten Klänge und Melodien. Die besten von Ihnen werden auch immer wieder im Fernsehen gezeigt. Ich hatte bereits mehrfach das Vergnügen, eine davon zu hören und freue mich schon auf das nächste Mal.

Sprache

Entsprechend Ihrer Historie oder geopolitischen Zugehörigkeit gibt es auf den Inseln die unterschiedlichsten Amtssprachen (Englisch, Französisch, Holländisch und Spanisch). Allen Inseln gemein ist aber Englisch als die Sprache, die jeder versteht. Darüber hinaus gibt es noch einen sagen wir mal einheimischen Dialekt des Englischen (den man aber praktisch nicht versteht) und teilweise auch eine eigene kreolische Sprache die auf dem französischen beruht und Patwa genannt wird. Interessanterweise sind in Guadeloupe Ortsschilder zweisprachig wobei die zweite Bezeichnung eines Ortes wie eine Lautsprache fungiert. Das hilft super bei der richtigen Aussprache. Ich bin bisher mit Englisch immer hervorragend durchgekommen, auch wenn ich häufiger nachfragen musste, bis ich alles verstanden hatte.

Vegetation

Ein wunderschönes Phänomen aller Inseln ist die überall herrlich sprießende Vegetation. Daher ist die absolute dominierende Farbe grundsätzlich grün. Ein Einheimischer hat mir einmal erklärt, dass die drei Landesfarben von St. Vincent die Sonne (gelb), das Meer (blau) und die Vegetation (grün) symbolisieren. Die Pflanzenwelt besteht aus einer Mischung von Palmen, Bananenstauden und sonstigen einheimischen Bäumen und Sträuchern. Blüten gibt es in der Regel keine außer bei den herrlichen Bougainvillaen, die häufig in Vorgärten zu finden sind.

Wetter

Entgegen den vielen Postkartenbildern ist es auf den Inseln häufig bewölkt und es regnet auch relativ viel. Das liegt daran, dass die Passatwinde warme, mit hoher Luftfeuchtigkeit aufgeladene Luft vom Meer transportieren. Wenn diese Luft auf die Inseln mit ihren hohen Bergen trifft, steigt sie nach oben, kühlt  sich ab und der Wasserdampf kondensiert zu Wasser. Dieses fällt dann in Form heftiger Regenschauer wieder vom Himmel. Zum Glück sind die Regenschauer in den allermeisten Fällen nur von kurzer Dauer und 20 Minuten später ist alles wieder trocken. Ein weiterer Effekt dieser Wetterlage ist, dass es um die Inseln herum häufig bewölkt ist und die Sonne gar nicht so häufig scheint, wie man nach den Bildern vermuten könnte.

Da der bereits erwähnte Passatwind beständig um die Inseln herum weht, gibt es keine windstillen Tage. Statt dessen ist man ständig bemüht, dass einem nicht irgend etwas davon geweht wird. Der große Vorteil dieses Wetters ist, dass die Temperaturen hier sehr gleichmäßig bei 26-28 Grad liegen und es durch den ständigen Wind weder schwül noch drückend heiß wird. Man schwitzt auch nicht. Es ist einfach Tag und Nacht super angenehm warm und so sind eine kurzer Hose und T-Shirt alles, was man zum Anziehen braucht. Auch nachts schlafe ich grundsätzlich ohne Decke.

Sicherheit

Ein weniger schöner Aspekt der Inseln ist das Thema Sicherheit. Auch hier gibt es große Unterschiede, zwischen den Inseln. Leider sind es gerade die ursprünglicheren und mehr südlich gelegenen Inseln diejenigen, in denen es eine vergleichweise hohe Kriminalitätsrate gibt. Das äußert sich dann zum Beispiel darin, dass eine Reihe von Geschäften Security Personal beschäftigen. Ich habe auch schon erlebt, dass man ein Geschäft überhaupt nicht von außen betreten konnte sondern der Wachmann die Tür von innen geöffnet hat, um mich hereinzulassen. Fenster und Türen sind vor allem in der Hauptstadt Kingstown häufig vergittert und in den wohlhabenderen Vierteln mit seinen schönen, am Hang gelegenen Villen, findet man auch schon mal waschechten S-Draht (der Stacheldraht der Bundeswehr) auf der Mauer, die das Grundstück umgibt. Von Spaziergängen nach Einbruch der Dunkelheit wird abgeraten, solange man sich nicht in einer eher belebten Gegend aufhält. Es gibt natürlich auch eine Polizei. Diese ist aber nur wenig präsent. Dieser Aspekt verdrängt leider etwas die Tatsache, dass die meisten Menschen hier super freundlich und hilfsbereit sind.

Need some help?

Wenn immer ich zu Fuß unterwegs war, hat es nicht lange gedauert, bis ein Autofahrer anhielt, und mir seine Hilfe angeboten hat. Sei es, wenn ich nach dem richtigen Weg schaute oder aber auch abseits der allgemeinen Straßen um mir die Mitfahrt anzubieten. Die Bereitschaft, Fremden Menschen zu helfen, ist hier super ausgeprägt. Da könnten sich die Deutschen mal eine gewaltige Scheibe von abschneiden.

Vor ein paar Tagen kam ich Sonntag Nachmittag auf dem Rückweg vom botanischen Garten an Marva’s Riverside Bar vorbei. Ein winziges rotes Haus mit zusätzlich ein paar überdachten Sitzplätzen. Die Bar war mit ca. 8 Mann gut besucht. Zusätzlich streunten in etwa die gleiche Anzahl Hunde auf der Straße vor der Bar herum. Etwas durstig beschloß ich, hier etwas zu trinken. Das führte zunächst dazu, dass die Hunde kläffend und grollend auf mich zugerannt kamen. Sie wurde aber im selben Moment von den Gästen verscheucht und mir wurde quasi der rote Teppich ausgerollt. Ein paar Minuten und ein Bier später wurde ich von der gesamten Truppe wieder herzlich verabschiedet und mit jeder Menge Glückwünsche für den restlichen Tag versehen. Einfach schön.

Bunte Häuser so weit das Auge reicht

Eine weitere Charakteristik aller Inseln hier sind die bunten Häuser, die über alle Berge mehr oder weniger gleichmäßig verstreut sind. Entlang den Hauptstraßen und um die Buchten herum gibt es dagegen auch ganze Städte oder kleine Dörfer. Die Häuser sind in den unterschiedlichsten Farben angemalt. Sofern sie über einen Balkon verfügen, ist dieser grundsätzlich mit kleinen Säulen verziert. Beides lässt sich schön an dem Foto vom schwedischen Konsulat in Kingstown erkennen. Da die meisten Häuser an einem steilen Hang gebaut sind, wird viel mit Stützpfeilern gearbeitet. Diese sehen mal mehr mal weniger vertrauenswürdig aus und sind immer aus Beton. Ich habe allerdings auch schon Häuser gesehen, in die ich definitiv keinen Fuß setzen würde. Neben der ursprünglichen Bestimmung eigenen sich Häuser natürlich auch hervorragend für den Wahlkampf, wie an einer Hauptverkehrsstraße in Kingstown unschwer zu erkennen ist.

Häuser über den Berg verstreut

Fluch der Karibik

Man kann über St. Vincent natürlich nicht berichten, ohne die Wallilabou Bay zu erwähnen. Sie war einer der Drehorte für den Film „Fluch der Karibik“. Die Bucht ist relativ klein und verfügt über einen Strand mit komplett schwarzem Sand. Am Strand stand bereits eine Strandbar und ein wackeliger Steg und dies hat den Regisseur wohl zu einigen der berühmtesten Szenen aus dem Film inspiriert. Der Inhaber der Strandbar hat die Popularität natürlich genutzt und so kann man da heute auch noch originale Requisiten und Kostüme bewundern. Insgesamt ein echt tolles Ambiente und mit Sicherheit der schwärzeste Strand, den ich je gesehen habe!

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