Über den Atlantik Teil 2 – Von den Bermudas zu den Azoren

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Montag 15. Mai 0900 BORDZEIT    32° 23‘ N / 64° 40,5‘ W

Heute geht es endlich wieder los. Wir stehen früh auf und sind um 7:30 bereits an der Tankstelle. Das Befüllen der beiden Dieseltanks und der 10 Ersatzkanister (á 20 L) sowie der 4 Wassertanks dauert eine ganze Stunde. Danach geht es zurück zum Ankerplatz und es wird erst einmal ausgiebig gefrühstückt. Um 10 gibt es den letzten Landgang. Während es Tom zu Munchies zieht (er hofft auf einen letzten guten Burger) versucht Max sein Glück bei einem der WLANs der Restaurants für ein Telefonat und ich kaufe ein paar Ersatzteile im Bootszubehör Shop. Dann gibt es noch einen letzten Drink im White Horse. Der Besitzer ist wie immer in bester Bermuda Manier gekleidet. Zu den berühmten Bermuda Shorts gehören nämlich zwingend die langen Kniestrümpfe und das Sakko.

Die traditionelle Bermudatracht: Sakko, kurze Hosen und lange Kniestrümpfe

Von da geht es direkt zur Emmigration und nach 1 Stunde warten ausklarieren kehren wir wieder zurück aufs Boot. Anschließend wird das Dinghi verstaut und die tausend anderen letzten Kleinigkeiten erledigt. Um 14:40 starten wir die Maschine, gehen Anker auf und gleiten mit schönem Wind im Rücken aus der Bucht.

Dienstag 16. Mai 0900 BORDZEIT  32° 19‘ N / 62° 36‘ W

Endlich sind wir wieder auf See. Während sich an Land doch eine gewisse Anspannung in mir breit macht, verschwindet diese sofort, als wir die Bucht von St. George verlassen und aufs Meer hinaus kommen. Nachdem sich der Wetterbericht laufend änderte, haben wir beschlossen, gestern einfach los zu fahren und das Wetter zu nehmen wie es kommt. Im Nachhinein betrachtet eine gute Entscheidung. Mit uns starten am noch fünf weitere Boote. Darunter sind auch die Good Fellow und Ihre Freunde von der Mariposa. So bilden für die ersten Tage einen kleinen Konvoi.

Wir segeln zunächst südlich eines Hochs was uns zu einem rein östlich zwingt. Das bringt uns zwar näher ans Ziel aber der Wind wird in den nächsten Tagen deutlich weiter nördlich kommen. Neben dem Hoch zieht auch noch eine Kaltfront über uns hinweg und beschert uns neben kalten Temperaturen auch etwas Regen. Wir kommen dank der Unterstützung durch die Maschine gut voran und kommen in den ersten 24 Stunden auf ein Etmal von über 140 Seemeilen. Angesichts der Erfahrungen aus dem ersten Teil von der Karibik zu den Bermudas endlich mal eine gute Strecke. Das Hoch im Norden beschert uns nicht nur leichte Winde aus nordöstlichen Richtungen sondern auch eine angenehm kleine Welle. Das wird leider nicht so bleiben uns so genießen wir den Status Quo.

Während ich diese Zeilen schreibe dreht der Wind endlich weiter und schläft noch etwas ein. Zeit für die lang ersehnte Wende Richtung Kurs 0° (Nord). Die Handgriffe sind mittlerweile alle Routine und es ist keine Notwendigkeit, die restliche Crew zu wecken. Ich bereite die Backbord Genuaschot und die Holeleine vor und hole zunächst die Genua weitgehend ein. Das ist notwendig, da wir ein zweites Vorsegel (unser Staysail) haben und ich die große Genua sonst nicht auf die andere Seite bekomme. Dann wird das Großsegel dicht geholt, damit es nicht schlagert. Ich betätige die automatische Tackfufnktion des Autopiloten. Er mach aber nicht was er soll. Auch das sind wir mittlerweile gewöhnt und so fahr ich das Boot aus der Hand durch den Wind, schalte den Autopiloten wieder ein, und Großsegel vollends ausgerefft, die Segel auf den neuen Kurs getrimmt und zum Schluß alle Leinen wieder aufklariert. 10 Minuten später sind wir wieder mit 5 ½ Knoten unterwegs.

Mittwoch 17. Mai 0400 BORDZEIT 33° 13‘ N / 61° 14‘ W

Ich übernehme meine Wache von Tom bei guten Bedingungen. Der (scheinbare) Wind liegt bei ca. 4 Bft in Böen 5. Er kommt aus ca. 70° und beschert uns damit ordentliche Fahrt bei mäßiger Schräglage. Da wir während Toms Wache immer mit einem Reff mehr unterwegs sind, ist die Fahrt nicht übermäßig schnell aber immer noch absolut ausreichen, um unseren nächsten Wegpunkt zu erreichen.

Die Nacht war dieses mal leider kürzer als gedacht. Nachdem ich gestern Abend um 22 Uhr Bordzeit (BORDZEIT) an Max übergeben habe, beschließe ich noch kurzem dem Dieselgestank nachzugehen, der sich in meiner Kabine breit macht. Ursprünglich bin ich davon ausgegangen, dass etwas Diesel aus den Öffnungen oben am Tank (er befindet sich unter meiner Koje) ausgetreten ist. Das kommt vor, wenn wir vollgetankt haben, da die Dichtungen nicht mehr 100%ig dicht sind. Dann entdecke ich eine kleine Diesellache unter meiner Bilge und nach weiterer Untersuchung eine wesentlich größere. Wir haben Diesel in der Bilge! Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als das Diesel mit der Handpumpe und einem Schwamm aufzusaugen. Insgesamt schätungsweise 3-5 Liter. Die ganze Aktion mit anschließendem Putzen kostet uns 1 1/2 Stunden und wir sind danach beide reichlich genervt. Ganz offensichtlich gibt es ein kleines Leck in der Verbindung zwischen dem Haupttank und dem Ersatztank. Linda hatte mich dringend angewiesen, das Ventil zwischen beiden Tanks immer geschlossen zu halten aber wir hatten das in der Hektik an der Tankstelle vergessen und es erst Stunden später geschlossen. Wäre schön gewesen, wenn sie mir auch den Grund für diese Anweisung mitgegeben hätte…

Donnerstag 18. Mai 0200 BORDZEIT        33° 12‘ N / 58° 35‘ W

Wir haben die letzten 24 Stunden gute Fahrt gemacht und sind jetzt noch 1500 sm von unserem nächsten Ziel Horta auf den Azoren entfernt. Auch wenn der Wind immer noch leicht von vorne kommt und die damit verbundene Schräglage sehr anstrengend ist, wenn man sich unter Deck aufhält. Der Wind bläst sehr konstant mit 4-5 Windstärken und wir fahren im 2. Reff mit immer noch 7 Knoten. Die Großwetterlage ist leider nicht besonders vielversprechend. Ein Hochdruckkeil kommt von Südwest auf und wir müssen im Laufe des Freitags wieder mit relativer Flaute rechnen. Wir geben daher alles, um so schnell wie möglich voranzukommen und dem Keil vielleicht doch noch davonzufahren. Bei dieser Schräglage fallen die Arbeiten unter Deck besonders schwer. Insbesondere das Kochen mussten wir einstellen. So ernähren wir uns wieder vorwiegend kalt – von einer warmen Suppe einmal abgesehen.

Freitag 19. Mai 0100 BORDZEIT     33° 06‘ N / 55° 55‘ W

Ein Hochdruckkeil hat uns leider eingeholt. Wir hatten gehofft, dass wir ihm noch entkommen können. Jetzt haben wir schwache umlaufende Winde und müssen den Motor wieder bemühen. Da der Wind auf beiden Seiten des Keils aus unterschiedlichen Richtungen kommt, haben wir ein uneinheitliches Wellenbild und das Schiff schaukelt ständig hin und her. Seit ein paar Stunden ist die GOOD FELLOW an unserer Steuerbordseite aufgetaucht und wir gleiten in einem Abstand von 3 sm nebeneinander her durch die Nacht. Über Kanal 69 unterhalten wir uns gelegentlich und freuen uns über die Begleitung.

Ein Freund hat uns mit den Positionsdaten von zwei weiteren befreundeten Schiffen versorgt, die sich auf dem direkten Weg von der Karibik zu den Azoren befinden. Sie sind uns 3 bzw. 5 Tage voraus, jedoch weiter südlich. So können wir hoffen, sie auf den Azoren wieder zu treffen.

Freitag 19. Mai 0100 BORDZEIT     33° 06‘ N / 55° 55‘ W

Der Hochdruckkeil hat sich schön festgesetzt und wir werden müssen bis ca. Morgen Mittag motoren müssen, bevor wir wieder Wind bekommen. Dann aber auch gleich aus der richtigen Richtung. Bis dahin bleibt uns nur, die Zeit tot zu schlagen und dank dem Schaukeln unsere Bauchmuskeln zu trainieren.

Wie funktioniert eigentlich die Kommunikation über Satellit? Vereinfacht gesagt beschissen. Die Peristera hat die billigste und am schlechtesten funktionierende aller denkbaren Varianten an Bord – ein tragbares Sateillitenmodem namens Iridium Go. Dieses kleine Gerät verfügt über eine ausklappbare Stummelantene. Es funktioniert nur an Deck und auch da ist der Empfang der Satelliten sehr dürftig. Will man einen Wetterbericht herunterladen, muss zuerst das Gerät eingeschaltet und an Deck rutschfest platziert werden. Nach einer Aufwärmphase von ca. 1 Minute kann man eine WLAN Verbindung mit dem Laptop herstellen. Im Anschluß starten wir auf dem Laptop unser Wettervorhersage Program Predict Wind Offshore und geben die relevanten Parameter (Vorhersagegebiet, Vorhersagemodelle, zeitliche und geographische Auflösung sowie die gewünschten Informationen (Wind, Luftdruck, Böen, Welle, Regen…). Das Programm berechnet dabei die voraussichtliche Dateigröße. Im Anschluss wird der Download gestartet und das heißt es hoffen. Hoffen, dass die Verbindung zu den Satelliten nicht während des Downloads abbricht, was immer wieder einmal passiert. Leider ist die Download Geschwindigkeit mit ca. 12-18 kB (richtig kiloByte) pro Minute nicht gerade prickelnd. Läuft alles gut, dann hat man je nach Größe des Downloadumgangs das gewünschte Ergebnis in 5 – 30 Minuten auf dem Rechner.

Etwas weniger prickelnd ist der Download von eMails. Wir haben dafür eine eigene App des Herstellers Iridium auf dem Handy und mmussten auch eine eigene mailadresse (peristera2@myiridium.net) einrichten. Auch hier muss zunächst eine WLAN Verbindung hergestellt werden. Danach lässt sich über einen Button der eMail download einer eigens dafür eingerichteten Mail Adresse starten. Der Download lässt sich über ein Protokoll mitverfolgen. Das sieht dann wie folgt aus:

starting mail process
starting threaded mail process
checking for network connection
connection typie is Iridium Go for mobile devices
network connection is pending*
connectiton status: Dialing*
connection status. Negotiating*
connection status: Authenticated*
waiting 3 seconds for network to stabilize…
looking for the mail server
socketCommmander logging onto server 192.168.3.36
connected to 192.168.3.36
Logged onto the server*
the server is preparing to deliver x messages*
sending file to server*
server has sent 4 message(s)*
messages were successfully sent to the server
Logged onto the server*
server has sent 2 messages(s)
incoming file size is 12288*
connection closed
Finished with mail
connection status: TERMINATING
connection status: TERMINATED

An jeder der mit * versehenen Schritte kann das Program unvermittelt abbrechen – und tut das auch laufend. Im Schnitt verläuft 1 von 3 Downloadversuchen erfolgreich. Hat alles geklappt sind je nach Dateigröße der Mails zwischen 5 (kurze Textmessage) und 60 Minuten (Textmessage mit mehreren Versuchen) vergangen.

Noch Fragen? ☹

Sonntag 21. Mai 2300 BORDZEIT  35° 05‘ N / 50° 36‘ W

Die Lage wird leider immer unübersichtlicher. Das „Azorenhoch“ macht seinem Namen leider keine Ehre sondern wabbert sehr weit nördlicher vor unserer Nase herum. Wir haben in den letzten 24 Stunden die Strategie verfolgt, unser Glück im Norden zu versuchen. Allerdings ist die 7 Tage Vorhersage aller andere als beruhigend und wir werden später versuchen, unseren Wetterexperten von der Wetterwelt telefonisch zu erreichen, um eine grundsätzliche Entscheidung zu treffen. Entweder versuchen wir weiterhin, oberhalb des Hochs zu bleiben und sehr stark nach Norden ausweichen ohne Garantie, dass wir dort den ersehnten Wind finden. Oder aber wir versuchen, uns südlich davon zu halten. Letzteres mit dem Nachteil, das wir den Wind von vorne auf die Nase bekommen und aufkreuzen müssten. Bei unserem Wendewinkel von realistisch 130° zum Wind hätte das ein übles Zickzack zur Folge und unsere verbleibende Strecke würde sich voraussichtlich fast verdoppeln. Keine rosigen Aussichten. Wir werden wohl unsere Vorräte etwas rationieren müssen.

Dienstag 23. Mai 1200 BORDZEIT  37° 26‘ N / 50° 03‘ W Nach 2 Tagen motoren Richtung Norden kommen wir endlich wieder besser voran und auch die Aussichten werden besser. Mit fast 38° Nord sind wir auf der “normalen Route“ zu den Azoren angekommen. Unter normal versteht man eine Route ungefähr auf dem 40. Breitengrad. Hier ungefähr befindet sich in der Regel die Grenze zwischen dem Azoren hoch und den Tiefs, die im Norden von West nach Ost ziehen. Ein Tief hat auf der Nordhalbkugel die Eigenschaften, sich gegen den Uhrzeigersinn zu drehen. Der Wind weht aufgrunde der Corioliskraft über dem Meer in einem Winkel von ungefähr 22° in das Tief hinein. Das Hoch hingegegen dreht sich mit dem Uhrzeigersinn und der Wind weht mit ungefähr demselben Winkel aus dem Hoch heraus. Treffen beide aufeinander (wie hier schematisch dargestellt) ergibt sich der für diese Jahreszeit typische Südwestwind, auf den wir gerade so verzweifelt warten.

Am Freitag soll es dann aber endlich so weit sein. Ein Tief zieht im Norden über den Atlantik und bringt guten Wind aus westlichen Richtungen. Wir können uns voraussichtlich 3-4 Tage daran hängen was uns ein gutes Stück voranbringen wird. In der Realität sind das Ganze dann so aus:

Die Farben symbolisieren dabei die Windstärken. Blau = kein Wind; Grün = schwacher Wind; Gelb = guter Wind; Rot = Starkwind.

Freitag 26. Mai 0600 BORDZEIT     38° 50‘ N / 45° 26‘ W

Der Freitag beginnt zunächst wie der Donnerstag aufgehört hat. Wenig Wind aus achterlichen Richtungen, dafür aber eine ausgeprägte Gegenströmung. Diese – ein Randwirbel des Golfstroms der bei den Meterologen Eddie genannt wird – kostet uns 1,5 Knoten unserer mühsam ersegelten Fahrtgeschwindigkeit. Denn während wir noch 3 Knoten Fahrt durch das Wasser machen, bleiben davon nach Abzug der Strömung real (SOG = Speed over ground) noch 1,5 Knoten übrig. Gerade kommt von unserer Wetterberatung die Nachricht, dass wir bezogen auf die Strömung zu weit im Norden unterwegs sind. Ich hatte das schon vorhergesehen und den Kurs bereits südlicher gesetzt. In den nächsten Stunden sollten wir dann wieder die Strömung auf unserer Seite haben.

Montag 30. Mai 0140 Bordzeit        39° 25‘ N / 36° 35‘ W

Seit Freitag ist eine Menge passiert. Auf der segeltechnischen Seite hat uns das Tief endlich erreicht. Die Kaltfront – aus Funk und Fernsehen auch als Tiefausläufer bekannt – brachte eine Menge Wind und Regen mit. Sie brachte uns aber auch endlich unserem Ziel ein gewaltiges Stück näher. Von 27. auf 28. Mai erreichen wir ein Etmal (gesegelte Strecke in 24 Stunden) von 174 Seemeilen. Das ist nicht nur mein persönlicher Rekord sonder sicher auch der von der Peristera. Es war ein wilder Ritt durch 2-3 Meter hohe Wellen mit 5-6 Beaufort Wind über die gesamte Zeit.

Danach wurde es noch einmal etwas knapp, als sich am Ende des Tiefausläufers Gewitterzellen mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 45 Knoten (83 km/h) bildeten. Wir laufen in nördlicher Richtung davon und bleiben von Ihnen aber verschont. Inzwischen hat der Wind beträchtlich abgenommen auf eine gemäßigte Brise. Ein größeres Problem haben wir dagegen mit unserer Maschine. Sie nimmt auf einmal kein Gas mehr an. Wir verbringen den meisten Teil des Montags mit der Fehlersuche, tauschen alle 3 Benzinfilter und checken das Ansaugrohr und den Luftfilter. Leider ohne Erfolg. Sobald wir die Drehzahl über 1.000 U/min hinaus erhöhen, stirbt der Motor ab, da er erkennbar zu wenig Sprit bekommt. Immerhin bringen wir ihn überhaupt zum Laufen und er hilft uns ein wenig über den aktuell schwachen Wind hinweg. Und natürlich können wir damit bei Bedarf Strom erzeugen.

Problembehebung Diesel

Tom hat mich gestern darüber informiert, dass er seit 2 Tagen Bauchschmerzen hat. Er führt das auf eine Vorerkrankung zurück. Wir versuchen es zunächst mit Dulcolax gegen Verstopfung. Es scheint aber eher eine lokale Entzündung im Darmbereich zu sein. Wenn alle wieder wach sind, werden wir über das Satellitentelefon ein Medico Gespräch mit der Beratungshotline in Cuxhaven führen, die überall in der Welt Segler in medizinischen Notfällen berät.

Auf der positiv Seite ist noch zu erwähnen, dass wir ein Problem mit einer nicht funktionierenden Trimmvorrichtung lösen konnten. Damit können wir jetzt den sogenannten Holepunkt der Genuaschot vom Cockpit aus verschieben (bisher ließ er sich nur vom Vorschiff aus bedienen und schon gar nicht fixieren).

Donnerstag 31. Mai 1500 Bordzeit             39° 54’ N / 34° 28‘ W

Die letzten 24 Stunden werden mir auf ewig in Erinnerung bleiben. Tom`s halten seit Montag an und er sieht etwas leidend aus. Ein Gespräch und eine kurze rudimentäre Untersuchung ergeben den Verdacht auf eine lokale Entzündung im Bauchraum. Am Mittwochnachmittag rufen wir daher die medzinische Beratungsstelle für Seefahrer in Cuxhaven per Satelittentelefon an. Die Unterhaltung mit dem Arzt anm anderen Ende der Leitung ist kurz und schmerzlos: Tom soll seine Antibiotika einnehmen und möglichst schnell in ein Krankenhaus gebracht werden. Wir rufen daher als nächstes die deutsche Leitstelle für Seenotfälle – Rescue Bremen – an. Man verspricht, sich zu kümmern. Eine halbe Stunde später meldet sich das MRCC (=Maritime Rescue Coordination Center) in Ponta Delgado auf den Azoren. Man wurde von Bremen über unsere Lage informiert. Ein Arzt aus der zentralen portugisischen Leitstelle in Lisabon wird uns anrufen, was auch tatsächlich zwei Stunden später passiert. Der Arzt unterhält sich eine Weile mit Tom und kommt zum selben Schluß, wie sein Kollege aus Cuxhaven: zur Sicherheit ab ins Krankenhaus. Spätestens ab diesem Zeitpunkt haben wir die Sache nicht mehr selbst in der Hand. Der Arzt hat offensichtlich das MRCC in Ponta Delgado informiert und die machen sich nun auf die Suche nach einer geeigneten Transportmöglichkeit. Eine Stunde später werden wir darüber informiert, dass der Frachter Johanna B. (200m Länge) seinen Kurs geändert hat und uns zu Hilfe kommt. Die Johanna B. trifft kurz nach Einbruch der Dunkelheit bei uns ein und versucht, sich zwischen uns und dem Wind zu positionieren. Wir können leider nur hilflos zuschauen, da unsere Maschine uns beim Wind von 3-4 Bft keinen Bewegungspielraum gibt und das Freibord (die Höhe der Seitenwand) der Johanna B. sehr niedrig ist und keine Windabdeckung gewährt. Die Crew der Johanna B. tut alles, bringen Fender aus und lassen ein Fallreep herunter, an dem Tom sich hochangeln könnte. Wir kommen aber nicht gefahrlos nahe genug heran, um Tom ein übersteigen auf de Fallreep zu ermöglichen. Wir erwägen zusammen mit dem MRCC noch weitere Möglichkeiten wie den „Transfer“ zwischen den Schiffen mit Hife der Rettungsinsel. Aber auch das erscheint weit zu gefährlich. Wir müssen die Aktion daher leider abbrechen, bedanken uns super herzlich bei der Johanna B. und segeln weiter.

Der Versuch, Tom an den Stahlfrachter Johannes B zu übergeben, scheitert wegen Wind und Welle

Wir sind noch nicht wieder richtig auf dem Weg, da meldet sich das MRCC erneut. Ein portugisisches Kriegsschiff ist nur 150 sm entfernt und macht sich auf den Weg zu uns. Wir sind gespannt – haben wir es hier ja mit Profis in Sachen Rettungsmanöver zu tun. 6 Stunden später erscheint die Antonio Ens am Horizont. Es ist ein relativ kleines Schiff – vermutlich eine Fregatte. Was jetzt passiert ist ein Lehrstück in Sachen Abbergen. Die Fregatte positioniert sich in Luv von uns in einer Entfernung von ca. 400 – 500 m und lässt ein RIB Boot zu Wasser. Dieses kommt mit Vollspeed auf uns zu, die wir beigedreht liegen. Sie fahren auf meine Anweisung zu unsere, dem Wind abgewandten, Steuerbordseite, kommen längsseits, Tom steigt über und hat gerade noch Zeit, seinen Rucksack zu greifen, den ich ihm reiche – und schon sind sie auch schon wieder auf dem Weg zurück. Alles ging unglaublich schnell und beide Seiten beglückwünschen sich per Handzeichen gegenseitig zum Erfog der Aktion, bevor sie auch schon wieder zur Fregatte zurückkehren. Das war mal eine Aktion! Ein Hoch auf die portugiesische Marine.

Ein Schlauchboot der portugisischen Marine übernimmt Tom

Max und ich trinken erst einmal einen Kaffee. Wir sind beide so aufgekratzt, dass keiner an Schlaf denkt. Statt dessen – wir liegen immer noch beigedreht und daher sehr ruhig ohne Fahrt im Wasser – beschließen wir, den Riss in der Fock provisorisch zu nähen. Dieser ist über die letzten zwei Tage nämlich bedrohlich größer geworden. Es folgt eine Nähstunde der besonderen Art auf dem Vordeck bei gesetztem Segel bis wir es geschafft haben, einen Flicken behelfsmäßig anzunähen, der die Stelle entlasten soll. Um es vorweg zu nehmen: der Flicken tut seinen Dienst für die nächsten 24 Stunden. Dann aber wird der Wind zu stark und wir müssen die Fock für den Rest der Reise bis Horta einholen.

Der Riss in unserer Fock zwingt uns dazu, sie für den Rest der Reise ungenutzt zu lassen.

Samstag 3. Juni 0030 Bordzeit                  39° 17’ N / 31° 39‘ W

Leider ist der Wind wieder völlig eingeschlafen. Unsere Motorleistung wird zunehmend schwächer und wir kommen kaum noch voran. Gestern haben wir wieder einmal einen Wetterbericht über ein größeres Gebiet im Atlantik und über einen längeren Zeitraum heruntergeladen – und einen riesigen Schreck bekommen. Auf dem Wetterbericht zeigt sich ein mächtiges Tief, dass sich derzeit über dem Atlantik zusammenbraut. Es wird am Mittwoch über die Azoren hinwegfegen mit Windgeschwindigkeiten bis zu über 50 kn (100 km/h). Bereits am Dienstag werden diese Windgeschwindigkeiten aufgrund eines Düseneffekts zwischen den Inseln auch in Horta erwartet.

Wir waren bisher davon ausgegangen, dass wir Horta auf jeden Fall erreichen, auch wenn es mehr Zeit braucht. Mit dieser Entwicklung läuft uns jedoch die Zeit komplett davon. Wir informieren Linda über die Situation und sie reagiert prompt. Eine Stunde später werden wir von unseren mittlerweile lieb gewonnenen Freunden vom MRCC Ponta Delgado kontaktiert. Wir erklären unsere Situation (praktisch manövrierunfähig). Das MRCC rät uns, statt Horta eine westlich davon gelegene Insel anzulaufen, die wir in einem Tag erreichen können. Die Insel heißt Flores und wird selten von Seglern angesteuert. Sie ist der westlichste Punkt Europas und hat einen sehr guten Ruf für seine gastfreundlichen Bewohner. Wir hatten unsererseits auch bereits Flores für Plan B vorgesehen und setzen umgehend Kurs auf die kleine Insel. Jetzt müssen wir nur noch hoffen, dass unsere Maschine bis dahin durchhält. Aktuell wird sie immer mal wieder ein klein wenig schwächer, so dass wir die Drehzahl mittlerweise auf ganz knapp über Leerlauf eingestellt haben. Damit geht zwar unsere Fahrtgeschwindigkeit weiter in den Keller aber besser spät ankommen als nie…

Am Samstag kommt endlich die Insel Flores in Sicht – unser ungeplanter nächster Stop

Am Nachmittag ist es dann endlich soweit. Wir näheren uns Flores, fahren noch an der Südküste entlang bis Lages und können um 15 endlich an einem französischen Katamaran in zweiter Reihe fest machen. Das Anlegerbier schmeckt heute so gut wie schon lange nicht mehr.