Atlantic Crossing

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Atlantic Crossing

20. November

28° 07‘ N / 015° 25‘ W 1200 UTC (=Universal Time Controlled; entspricht Greenwich Mean Time)

Endlich geht es los! Wir können es kaum erwarten, endlich die Leinen loszuwerfen und der Start der Flotte war dann auch ein echtes  weiteres Highlight der ARC. Ab 10:30 verliessen zunächst die Katamaren und danach die Monohulls einer nach dem anderen Ihre Liegeplätze und schlängelten sich in einer endlosen Reihe aus dem Hafen begleitet von hunderten winkender Zuschauer rechts und links auf den Molen.

Kaum aus dem Hafen empfing uns dann die rauhe Wirklichkeit. Wind und Seegang hatten in den letzten Tagen massiv zugelegt und entsprechend eng ging es vor der Startlinie zu. Pünktlich um 13 Uhr erfolgte dann der Start der Cruising Division und wenige Minuten später überquerten auch wir in dem riesigen Pulk die Startlinie.

Der Wetterbericht hatte für die kommende Nacht und die nächsten Tage Wind von 5 bis 7 Bft bei 2-3 m Welle vorausgesagt. Somit hatten wie bei starkem Verkehr um uns herum eine etwas hektische erste Nacht. Mehrmals mussten andere Schiffe angefunkt werden, um sich über Kurse abzustimmen und eine gefähliche Annäherung zu vermeiden.

Zunächst aber noch ein Wort  zu unserer Crew. Von links nach rechts Skipper und Schiffseigner Mike, Noell und „Nesthäckchen“ Rory.

       

Mike hat vor kurzem seine kleine Ingenieursfirma (Verpackungsmaschinen) verkauft und befindet sich seit 1 ½ Jahren in Rente. Er segelt schon seit Urzeiten und hat 20 Jahre lang mit einem kleineren Schiff Regatta gesegelt, bevor er sich Longbow zugelegt hat. Mit Ihr wollte er jetzt eigentlich um die Welt segeln. Aus irgendwelchen versicherungstechnischen Gründen scheint das aber nicht zu klappen und so wird er voraussichtlich ein Jahr in der Karibik bleiben und dann wieder zurück nach England segeln.

Noell ist Ire und darauf auch besonders stolz. Er hatte ebenfalls eine kleine Firma über die er Infrarotmessgeräte verkauft hat. Auch er hat die Firma verkauft, ist aber noch Teilzeit während einer Übergangsfrist vom Käufer angestellt. Daher hatte er auch ein eigenes Satellitentelefon dabei und hat jeden Tag seine eMail gecheckt.

Rory ist noch keine 30 und hatte sich vorgenommen, vor dem Beginn eines bürgerlichen Lebens mit Kindern, Job und Haus noch etwas zu erleben. Er ist bereits mit Mike und mir Ende Juli/Anfang August von England zu den Kanaren gesegelt. Danach ist er mit seiner Verloben zu einer 4-wöchigen Australienreise aufgebrochen und nach seiner Rückkehr mehr oder weniger direkt wieder zu uns gestoßen.

Noell und Rory werden nach unserer Ankunft noch ein paar kurze Tage auf St. Lucia verbringen und dann wieder zurück fliegen.

Montag 21. November

25° 59.0′ N,016° 08.2′ W 1200 UTC

So langsam beginnt unsere Bordroutine zu greifen und bei herrlichem Sonnenschein und immer noch starkem Wind und Wellen starten wir in unseren ersten vollen Tag auf See. Die Segel sind von der Nacht noch maximal gerefft wobei sich der Wind gegen Mittag etwas beruhigt und wir etwas ausreffen können. Morgens bekommen wir immer den aktuellen Wetterbericht mit der Vorschau für die nächsten Tage. Anbei ein Beispiel des Wetterberichts für den Quadranten BB, in dem wir uns gerade befinden:

Synopsis: Good day. High pressure southwest of the Azores with a ridge SW’ward
to 15N/45W will become absorbed by a stronger high building southeast to near
44N/42W by this afternoon. This high will move NE’ward to near 54N/26W on the
03rd. The ridge will lift to the north to near 25N/40W on the 03rd.

Low pressure near 31N/52W with a trough SW’ward to near 15N/54W will drift east
through the morning of the 03rd before merging with a cold front that will
extend from 35N/42W SW’ward to just northeast of the NE’rn Caribbean Sea on the
evening of the 03rd. Low pressure will develop along this front near
approximately 27N/45W by afternoon of the 04th and will lift NE’ward along this
front through evening of the 04th.

Conclusion: The remnants of a swell front are continuing to dissipate in grids
HH and II through this evening. Overall, swell is easing in most grids,
particularly KK, LL, QQ, and RR by midday the 02nd. While swell will build
again slightly in the W’rn grids by morning the 03rd, it will ease in grids HH
and NN.

Fresh E’ly wind gusts will persist along the E’rn side of the trough discussed
above in the Synopsis. Fresh gusts will also build in LL and RR late the 02nd
and early the 03rd as a strong ridge offshore the US East Coast interacts with
the W’rn side of the trough. Expect lighter winds along the trough axis, in KK
and QQ through the evening of the 02nd, and winds also easing in W’rn portions
of grids JJ and PP by the morning of the 03rd.

Expect isolated showers with some squalls to continue through the 03rd in most
grids. The most widespread squalls will be present in grids JJ and KK due to
the aforementioned trough, and in grid QQS due to the Inter-Tropical
Convergence Zone (ITCZ) to the south. Expect the highest potential for squalls
in grids JJ and KK midday the 02nd through the morning of the 03rd.

BB FORECAST:
01/06 GMT(T + 0):  WINDS N-NE(0 – 45)  10-19KTS.  SEAS 2-4  SWELLS WNW-NNW
6-9FT  (13SEC).  SKIES PARTLY CLOUDY. ISOLATED SHWRS. CURRENTS FROM N @ 0.4KTS.
01/18 GMT(T + 12):  WINDS N-NE(0 – 45)  11-20KTS.  SEAS 2-4  SWELLS WNW-NNW
BUILD 4-8FT  (12SEC).  SKIES PARTLY CLOUDY. ISOLATED SHWRS/SQUALLS*. CURRENTS
FROM NE @ 0.4KTS.
02/06 GMT(T + 24):  WINDS N-NE(0 – 45)  12-21G23KTS.  SEAS 2-4  SWELLS NW-N
BUILD 3-7FT  (11SEC).  SKIES PARTLY CLOUDY. ISOLATED SHWRS/SQUALLS*. CURRENTS
FROM N @ 0.3KTS.
02/18 GMT(T + 36):  WINDS N-NE(0 – 45)  15-24G28KTS.  SEAS 3-5  SWELLS NW-N
4-7FT  (10SEC).  SKIES PARTLY CLOUDY. ISOLATED SHWRS/SQUALLS*. CURRENTS FROM
NNE @ 0.5KTS.

Er sieht komplizierter aus als es ist:

Ausschnitt Wetterbericht                                    Übersetzung in normales Deutsch
BB FORECAST                                                       Wettervorhersage für den Quadrant BB (einer von 18 für unsere Route)
21/06 GMT(T+0)                                                  Tag und Uhrzeit bezogen auf Greenwich Mean Time. Hier 6 Uhr morgens am 21. Nov
WINDS NNE-ENE(23-68)                                  Wind aus NordnordOst bis OstNordOst (in Klammern Angabe der Kompasswinkel)
20-24G28KTS                                                        Windstärke 20-24 Knoten, in Böen (=Gusts) 28 Knoten
SEAS 3-4 SELLS NNE-ENE 7-10FT (6sec)      Seegang 3-4 (nach der gängigen Skala, Wellen aus Nordnordost – Ostnordost 7-10 Fuß Höhe
mit einer Frequenz von 6 Sekunden

 

Dienstag 22. November

25° 21.1′ N, 019° 06.2′ W 1200 UTC

Meine Wache beginnt bereits eine halbe Stunde vor der eigentlichen Zeit, da Noel sich wegen einem sich nähernden Schiff unsicher ist. Leider bekommen wir von ihm zunächst kein AIS Signal (wie sich später herausstellt unser Fehler). Nachdem ein Funkanruf unbeantwortet bleibt, schalten wir das Radar ein.  Und siehe da, auf einmal funktioniert auch AIS wieder (Der Fischer wird als kleines Dreieck rechts oben ausserhalb des Kreises angezeigt). Es handelt sich um einen Fischer der mit Schleppnetzen fischt. Er ist aber noch ausreichend weit entfernt und hat auch keinen Kurs direkt auf uns zu. Somit ist erst einmal Entspannung angesagt. P.S.: bei den beiden unten Pfeilen handelt es sich um die Windrichtung (T = True Wind, A = Apparent Wind was bedeutet, dass unser Fahrtwind mit eingerechnet ist).

Der Wind bläst heute Nacht wieder mächtig – in Spitzen bis zu Sturmstärke – und die Wellen erreichen locker bis zu 4 m Höhe. Longbow läuft davon unbeirrt seinen Kurs dank der hervorragend arbeitenden Windfahnensteuerung. Nach einer ansonst ruhigen Wache verziehe ich mich wieder in meine Koje und schlafe bis zum Frühstück durch.

Endlich legt sich der Wind etwas und wir können das Vorsegel ausbaumen. Das erlaubt uns einen besseren Kurs in Richtung zu unserem nächsten Wegpunkt. Abgesehen von dem ständigen Geschaukel wird es jetzt richtig entspannt. Dazu kommen noch ein paar Delfine, die uns über eine Stunde hinweg begleiten.

Am Nachmittag kommt die Lilly Mae wieder etwas auf. Wir hatten sie dam Mittag überholt und kurz mit Ihnen über unseren Kurs gechattet. Daraufhin haben sie den Kurs direkt ebenfalls geändert und etwas später auch ordentlich ausgerefft. Sie rufen uns erneut über Kanal 72 an und schlagen vor, ein gemeinsames Video mit Ihrer Drohne aufzunehmen, sobald sie etwas näher gekommen sind. Toller Vorschlag, nur leider ändern sie kurz darauf wieder den Kurs nordwärts und entfernen sich zusehends, statt näher zu kommen.

Gegen Abend legt der Wind noch einmal etwas zu. Es ist aber kein Vergleich mehr zu den ersten beiden Nächten.

Mittwoch 23. November

23° 27.2′ N, 021° 01.2′ W 1200 UTC

Die erste Nachtwache ohne irgendwelche Vorkommnisse. Noch nicht einmal ein Schiff in erreichbarer Nähe. Ich hatte in der Nacht bestens geschlafen und falle auch danach direkt wieder in einen erholsamen Tiefschlaf. Am Morgen gibt es endlich ein Frühstück nach meinem Geschmack (Toast, Butter und spanischer Jambon).

Eine halbe Stunde später sichtet Noel den ersten fliegenden Fisch unserer Reise. Fliegende Fische sind die häufigsten Tiere, die wir während dieser Reise zu sehen bekommen. Sie kommen aus dem Wasser und gleiten dann wie Segelflieger bis zu 100 m über das Wasser, bevor sie wieder mit einem Platsch darin verschwinden. Während größere Exemplare alleine unterwegs sind, gibt es Rudel von bis zu 10 kleineren Fischen, die im Schwarm über das Wasser fliegen. Jedesmal wieder ein toller Anblick. Leider landen manche der Fische auch bei uns an Deck und wir bemerken es immer erst, wenn sie bereits tot sind.

Bezüglich der weiteren Reiseroute entwickelt sich eine Diskussion um die Frage, wie weit wir uns zunächst nach Süden halten (Empfehlung der Experten) oder ob wir uns mehr westwärts orientieren und damit schneller dem Ziel näher kommen. Der südliche Kurs wird normalerweise immer empfohlen, da man damit schneller in den Bereich stabiler Passatwinde kommt – von der Mitnahme der nordäquatorialen Strömung mal ganz abgesehen. Aktuell konnten wir uns darauf einigen, zunächst einen mehr südlichen Kurs zu fahren.

Donnerstag 24. November

21° 36.7′ N, 022° 23.7′ W 1200 UTC

Der Donnerstag beginnt wieder mal mit einer ruhigen Nachtwache. Kaum habe ich jedoch um 4 Uhr morgens an Mike übergeben, beginnt der Lärm. Zunächst hat der Windgeschwindigkeitsmesser einmal sachte an der 20-Knoten-Marke gekratzt. Daraufhin wurde fix gerefft. Dank der elektrischen Winschen ist das unter Deck mit einem höllischen Lärm verbunden. Danach wurde noch zweimal der Generator angeschaltet, da die Batterien und den vom Skipper vorgegebenen Schwellenwert von 80% Kapazität gerutscht sind. Da der Generator auch nicht gerade leise arbeitet, war an Schlaf erst einmal nicht mehr zu denken.

Nach Sonnenaufgang erwartet uns ein segeltechnisch ruhigerTag mit moderatem Wind. Morgens kreuzen wir zum zweiten Mal den Katamaran Mango und chatten etwas per Funk. Nach dem Mittagessen stellt sich dann ein Knacken bei der Windsteueranlage ein. Offensichtlich ist die Führung einer Befestigungsschraube ausgeschlagen. Das Problem gab es bereits auf der Überführung von England zu den Kanaren und wurde von Mike offensichtlich nur unsachgemäß behoben. Somit bleibt uns nichts anderes übrig, als die Windfahne abzumontieren und für den Rest der Fahrt auf die Windfahnensteuerung zu verzichten. Schade, sie hatte eigentlich ganz hervorragend gearbeitet. Zum Glück haben wir jedoch mit dem Autopilot noch einen elektrischen Ersatz, der ebensogut seinen Dienst verrichtet.

Nachmittags kommen dann plötzlich aufgeregte Schreie vom Cockpit. Noel hat einen Orca gesichtet. Er kam mit hohem Tempo von achtern auf uns zugeschwommen, ist aber im letzten Moment abgedreht. Anschließend kam er noch einmal an unserer Seite vorbei und wurde dann nicht mehr gesichtet.

Freitag 25. November

21° 04,9′ N, 024° 55,1′ W 1200 UTC

So langsam groovt sich der Bordalltag ein. Der Seegang ist nach wie vor relativ ruhig, der Wind hat sich bei 10-16 Knoten scheinbarem Wind1 eingependelt. Auch die eine oder andere etwas gewöhnungsbedürftige Regelung an Bord löst sich in Luft aus. So läuft der Generator jetzt weniger häufig und vor allem weniger oft nachts. Auch das Thema knappes Wasser hat sich mittlerweile in Luft aufgelöst. Wir können jetzt das über den Watermaker erzeugte Wasser auch zum Waschen nutzen und müssen uns dabei nicht mehr gewaltig einschränken, wie das zu Anfang gefordert war.

Mittags kam dann endlich meine Angel zum Einsatz und 2 Stunden später hatten wir einen „Rainbow Runner“ auf dem Teller. Er ist allerdings ziemlich trocken und hat auch kaum Eigengeschmack. Da die Nachfrage nach weiterem Fisch eher gering ist, bleibt die Angel danach erst einmal unbenutzt. Außerdem fehlt es noch an einem geeigneten Rezept für das trockene Fleisch der Fische.

Später wird von der ARC Rally Control eine Suchmeldung von der Küstenwache weitergeleitet. Ein Schiff, welches in unserem Fahrtgebiet vermutet wird, hat sich seit Tagen nicht mehr gemeldet und die Angehörigen machen sich Sorgen. In der Tat können zwei Schiffe der ARC das Boot per UKW Funk erreichen (Reichweite ca. 40 sm) und über Ihr Satellitentelefon an die Küstenwache Entwarnung geben.

1 mit scheinbarem Wind bezeichnet man den Wind, der nach Abzug des Fahrtwindes übrig bleibt. Es ist der Wind, den man an Bord verspürt und der für die Segel wirksam ist. Da bei unserer Route der sogenannte wahre Wind immer von hinten kommt, ist der scheinbare Wind um ca. 5-6 Knoten weniger.

Samstag 26. November

20° 34,5′ N, 027° 11,5′ W 1200 UTC

Ein weiterer ruhiger Tag auf See. Das gibt uns die Gelegenheit, den Sextanten auszuprobieren. Die Messung des Winkels zur Sonne gestaltet sich aufgrund des schaukelnden Schiffes aber als relativ schwierig. Nach ca. 15 Minuten haben Rory und ich aber jeweils eine Messung hinbekommen. Leider waren wir für die zweite Sonnenmessung (die notwendigerweise einige Stunden später erfolgen muss) zu spät dran. Aufgrund unseres Kurses hat sich die Sonne mittlerweile hinter dem Vorsegel versteckt und ist für die Messung nicht mehr zu gebrauchen. Vielleicht ergibt sich ja heute Abend noch die Möglichkeit, den Mond zu „schießen“.

Um 16:30 Uhr haben wir endlich die schon lange erforderliche Kurswende in Richtung auf einen Südwestkurs gemacht. Diese ist notwendig, da im weiteren Verlauf der Reise ein Hoch nach Süden drückt. Das ist gleichbedeutend mit wenig bis gar keinem Wind. Um das für Freitag erwartete Hoch zu umgehen, müssen wir südlich von 15° Nord bleiben (aktuell liegen wir über 20° Nord). Bei dem jetzt anliegenden Kurs werden wir dieses Niveau in 4 Tagen erreicht haben, ohne unseren westlichen Kurs allzusehr zu vernachlässigen.

Sonntag, 27. November

19° 40,0′ N, 029° 44,0′ W 1200 UTC

Tag 8. Die Kap Verden liegen inzwischen schon ca. 300 sm entfernt und wir bewegen uns in Richtung der Mitte des Nordatlantik. Dank der Kursänderung von gestern machen wir jetzt wieder gute Fahrt in die richtige Richtung. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von um die 7 Knoten liegen wir für unser Schiff und den aktuell moderaten Winden sehr gut. Und auch unser VMG von ca. 6,5 Knoten passt hervorragend.

VMG? Naturgemäß kann bzw. will man beim Segeln nicht immer direkt auf sein Ziel zufahren. Bei unseren Windverhältnissen – er kommt aus nordöstlichen bis östlichen Richtungen und wir haben ihn daher von achtern (= hinten) – wäre ein Kurs direkt aufs Ziel zwar grundsätzlich möglich. Das ist wegen der Wellen aber nicht immer der komfortabelste Kurs da teilweise mit sehr viel geschaukel verbunden. In unserem Fall kommt noch hinzu, dass wir ein vor uns liegendes Hoch südlich umfahren müssen. Sonst bekommen wir es mit Schwachwinden bis hin zur totalen Flaute zu tun.  Wenn man aus den genannten Gründen nicht direkt auf das Ziel zufährt, ist es wichtig zu wissen, mit welcher Geschwindigkeit man sich auf das Ziel zubewegt – eben die sogenannte Velocity Made Good (VMG).

Montag, 28. November

18° 51,9′ N, 032° 17,0′ W 1200 UTC

Der 9. Tag auf dem Atlantik steht im Zeichen notwendiger Reparaturen. Diese stellen in der Regel die größte Herausforderung bei einer Ozeanüberquerung dar. Wenn man bedenkt, was bei anderen Schiffen alles zu Bruch ging sind wir allerdings noch glimpflich davon gekommen. Zuerst bricht eine Schraube aus der Befestigung des Bimini-Tops. Kein großes Problem aber Skipper Mike hat eine regelrechte Werkstatt an Bord und nach einer Stunde ist die abgebrochene Schraube aus dem Gewinde gelöst und durch eine neue ersetzt. Schon wichtiger wurde der Ersatz eines Zahnriemens im Motor der elektrischen Bordtoilette. Diese Toiletten haben den Nachteil, dass sie passgenau im Boot verbaut sind und man praktisch an keine Schraube vernünftig herankommt. Insofern dauert der Ersatz des Zahnriemens auch komplette 2 Stunden (inkl. Ersatz eines Ventils, das bei der Gelegenheit gleich mit ersetzt wird).

Ein weiteres Problem stellt die Befestigung der Windfahnensteuerung dar. Hier sind zwei Führungen von Befestigungsschrauben ausgeschlagen, was zu einer fortdauernden Belastung der gesamten Anlage führt. Wir benutzen sie daher nur noch selten bei wenig Wellengang und steuern statt dessen mit dem elektrischen Autopilot oder klassisch von Hand. Letzteres ist immer noch die schnellste und komfortfreundlichste Variante, wenn auch ziemlich anstrengend für die Konzentration.

Am Abend ist – bis auf die Windfahnensteuerung – alles wieder in Ordnung und der Tag kann mit ruhigem Wind und Seegang zu Ende gehen.

Dienstag, 29. November

18° 51,9′ N, 032° 17,0′ W 1200 UTC

Wir kommen weiter gut voran. Seit heute Nachmittag sind es nur noch 1.500 Seemeilen bis zum Ziel sind. Bei einem typischen Etmal (= Tagesetappe) von 144 sm rechnen wir aktuell mit einer Ankunft gegen Samstag 10. Dezember in den frühen Morgenstunden. Rory hat herausgefunden, dass Freitag in St. Lucia als die Partynacht gilt und so ist die gesamte Mannschaft hoch motiviert, richtig Gas zu geben.

Leider geht es nicht allen Booten der ARC so gut wie uns. Fast jeden Tag bekommen wir Nachricht, dass ein weiteres Schiff der Flotte aufgeben muss. Inzwischen sind ingesamt 8 Schiffe entweder umgedreht und nach Las Palmas zurück (in den ersten 2 Tagen) oder aber nach den Kap Verden abgedreht. Letzeres mussten auch Blanca und Ramiro mit Ihrer Beneteau Oceanis 43. Sie hatten diverse Probleme mit der Elektrik und  lassen das jetzt erst in Mindelo reparieren. Weniger Glück hat ein weiterer Teilnehmer, der gestern einen Mastbruch gemeldet hat. Ein amerikanisches Frachtschiff soll ihm heute zu Hilfe kommen.
P.S.: wie sich später herausstellte, sind 21 Schiffe der ARC zu Hilfe geeilt und haben Diesel gespendet. Was für ein hervorragendes Beispiel für Seemanschaft!!

An den Ausfällen lässt sich auch ablesen, welche Belastungen ein Schiff auf hoher See aushalten muss. Die Technik an Bord wurde mit den Jahren immer vielfältiger und komplexer und damit steigt auch die Anforderungen an Ersatzsysteme und Reparaturen auf See. Ganz oben auf der Liste der problematischen Systeme stehen der Generator, der Autopilot und die Wasseraufbereitungsanlage. Erster lässt sich zur Not durch den Motor ersetzen – auch wenn es kein Vergnügen ist, wenn der Motor 4-6 Stunden am Tag zur Stromerzeugung laufen muss. Der Ausfall eines Autopilot ist für kleine Crews ein echtes Problem, da die Steuerung von Hand viel Konzentration erfordert. Bei unserer Crewstärke von 4 Mann wäre das nicht direkt kritisch sondern hauptsächlich unkomfortabel. Die Wasseraufbereitungsanlage stellt das Wasser für Abwasch und Waschen/Duschen bereit. Sollte diese bei uns ausfallen, hätten wir noch ca. 600 l in zwei Reservetanks. Mit einem strikten Wassermanagement würden wir damit einigermaßen über die Runden kommen (schließlich soll es ja in der zweiten Etappe ab und zu mächtige Regenschauer geben, die man hervorragend zum Duschen verwenden kann).

Mittwoch 30. November

17° 42,3′ N, 037° 35,7′ W 1200 UTC

Wir haben weiterhin das Vergnügen mit den Ausläufern eines Trogs – neben gewünscht viel Wind sind das vor allem bis zu 4 m Welle. Leider kommen hier zwei Wellensysteme zusammen und so rollen wir uns mehr oder weniger ungemütlich durch den Tag.

Heute morgen hat mich ein eMail von meinen Kölner Freunden erreicht. Ihnen ist in der Nacht der Autopilot kaputt gegangen und Ihre Windfahnensteuerung kommt mit den hohen Wellen nicht besonders gut zurecht. Das bedeutet erst einmal von Hand steuern, bis sich der Seegang in zwei Tagen wieder ruhiger wird. Ich drücke Ihnen sehr die Daumen, dass sie den Autopiloten wieder zum Laufen bringen.

Blanca und Ramiro haben sich heute auch gemeldet. Sie können Ihre Reparatur an der Elektrik morgen abschließen und wollen sich am Freitag von den Kap Verden aus auf den Weg machen. Mit etwas Glück schaffen Sie es noch zur Preisverleihung am 17. Dezember.

Die Schweden mit Ihrem Mastbruch sind auch weiterhin guter Dinge, dass sie die restlichen ca. 1000 sm unter Motor bewältigen können. Dabei wird Ihnen ein Flautenloch zugute kommen, dass uns am Wochenende trifft. Allerdings benötigen sie dazu noch einige Kanister an Ersatzsprit von anderen Schiffen.

Gleich gibt es unser Halbzeit-Dinner. Mike hat sich dafür etwas Besonderes ausgedacht und es riecht auch schon lecker aus der Pantry.

Donnerstag 1. Dezember

16° 57,7′ N, 040° 07,6′ W 1200 UTC

Wir sind in der Mitte des Ozeans angekommen und erreichen heute Nachmittag unseren persönlichen Punkt Nemo (16° 47,6‘ N; 41° 34,6‘ W). Damit bezeichnet man den Punkt auf See, der in aller Richtungen am weitesten vom Land entfernt ist. Bei uns sind das ca. 940 sm oder 1.740 km die wir sowohl von den Kap Verdischen Inseln als auch von dem nördlichsten Küstenzipfel Brasiliens entfernt sind. Unser eigentliches Ziel ist aktuell mit ca. 1.200 sm noch deutlich weiter entfernt. Für mich ist es ein sensationelles Gefühl, so richtig mitten auf einem Ozean unterwegs zu sein und das steuern macht noch einmal so viel Spaß.

Da es ansonsten ein ruhiger Tag ist, mache ich mich mal wieder daran, an meinem Blog weiterzuschreiben. Das geht bei dem ständigen Rollen des Schiffes am Besten, wenn ich mich quer in meiner Kabine verkeile. Ich hoffe, die Mühe zahlt sich aus und Ihr habt Spaß beim Lesen.

Freitag 2. Dezember

16° 57,3′ N, 042° 39,3′ W 1200 UTC

Ich werde manchmal gefragt, was mich am Offshore Segeln (weitab vom Land) so fasziniert. Es ist glaube ich die Verbundenheit mit dem Meer und die Vorstellung, dass rund um mich herum über endlose Weiten nur Wasser ist. Ich sitze jeden Tag mehrere Stunden im Cockpit und schaue einfach nur den Wellen zu, wie sie sich in immer neuen Formen und Facetten auf und nieder bewegen oder genieße diese unglaublich schönen Sonnenuntergänge die es so nur auf dem Meer gibt.. Wenn der Schwell (=die Wellen) höher und ihre Abstände zueinander länger sind, dann ergibt sich eine regelrechte Landschaft aus Bergen und Tälern durch die wir gemütlich hindurchsegeln. Da die Wellen aber schneller laufen als wir fahren kommen sie von hinten auf uns zu und rollen dann unter uns durch. Manchmal brechen sie gleichzeitig dabei und es gibt ein unvergleichlich schönes Rauschen. Wieder andere kommen mehr von der Seite und dann rollen wir mächtig von einer Seite zur anderen. Während das an Deck nicht weiter stört, flucht insbesondere der Koch in der Pantry gewaltig.

Was sich gestern bereits angedeutet hat, wird heute zur traurigen Gewissheit. Unser Watermaker hat den Geist aufgegeben. Der Watermaker ist eine vergleichsweise komplizierte Anlage, mit der man über das Umkehrosmoseverfahren Salzwasser in Wasser mit hervorragender Trinkwasserqualität umwandeln kann. Jetzt ist es mit dem unbeschwerten Duschen vorbei. Wir haben noch ca. 1.000 Liter Wasser in 3 Tanks an Bord und müssen rationieren, damit es für Waschen, Geschirrspülen und zum Teil auch Trinken noch bis zur Ankunft in St. Lucia reicht.

Am Abend hat sich der Seegang endlich nach etlichen Tagen wieder beruhigt und so genieße ich das elegante gleiten unseres Schiffes durchs Wasser, während die Sonne sich am Horizont verabschiedet. Begleitet werde ich von Eddie. Er ist uns gestern zugeflogen und traut sich mittlerweile sogar bis ins Cockpit und versucht sich gerade an einem Nickerchen. Noell kennt sich sehr gut mit Vögeln aus und vermutet, dass es sich bei Eddie um ein dem Reiher verwandten Landvogel handelt. Dann hätte er sich ja mächtig hierher verflogen. Er hat sicher mächtig Hunger und Durst. Wir würden ihn ja gerne mit Futter etwas aufpäppeln aber so zutraulich ist er noch nicht.

Samstag 3. Dezember

15° 43,9′ N, 044° 51,6′ W 1200 UTC

Seit heute morgen kurz nach 0 Uhr sind wir dreistellig! Das bedeutet, dass es jetzt weniger als 1.000 sm bis nach St. Lucia sind. Da für die nächsten Tage sehr wenig Wind vorausgesagt ist, rechnen wir mit 7-8 Tagen sprich einer Ankunft am Samstag oder schlimmsten Fall am Sonntag. Auch wenn wir uns hier richtig gut eingelebt haben, so ist die Aussicht auf ein Ende des Geschaukels, eine schöne ausgiebige warme Dusche, 1-x Rumpunsch und ein vernünftiges Essen doch äußerst verlockend. Außerdem erwarten uns in St. Lucia die Freunde aus den letzten Tagen von Las Palmas und natürlich wird nach der Ankunft mächtig gefeiert.

Die Kollegen waren heute besonders fürsorglich und haben mir mit großer Anteilnahme mitgeteilt, dass Deutschland aus der WM geflogen ist. So what. Das spielt hier draußen nur wirklich überhaupt keine Rolle. Ich hatte noch nicht mal mitbekommen, dass die WM überhaupt gestartet war.

Das liegt natürlich auch daran, das wir hier nur sehr eingeschränkt mit der Außenwelt kommunzieren. Wir haben zwei Satellitentelefone an Bord. Das eigentliche SchiffsSatellitentelefon dient nahezu ausschließlich dem Herunterladen von Wetterdaten (sogenannten Grib-Files) sowie  den Wetterberichten und täglichen Posiionsdaten aller Schiffe, die von der ARC RallyControl per eMail verschickt werden. Darüber hinaus haben wir auch mit einigen wenigen Schiffen etwas eMail Verkehr, der sich aber auf wenige Textzeilen beschränkt.

Neben diesem „offiziellen“ Schiffstelefon hat Mitsegler Noell noch ein privates Satellitentelefon dabei. Er braucht das, um mit seiner Firma in Kontakt zu bleiben und verbringt ca. 1 Stunde am Tag mit der Beantwortung von eMails. Sein Telefon ist natürlich nicht mit der Schiffsantenne verbunden und so sitzt er jeden Tag an Deck und hält sein “Telefon” in die Höhe um eine möglichst gute Verbindung zu den Satelliten zu bekommen. Nicht gerade die gemütlichste Haltung, wenn die Datenübertragung eine halbe Stunde dauert (Satellitentelefone haben typischerweise Übertragungsraten von 2,4 kb pro Sekunde).

Sonntag 4. Dezember

14° 50,9′ N, 046° 57,4′ W 1200 UTC

Heute war Waschtag. Auch wenn unser Wasser relativ knapp ist, musste ich heute etwas Wäsche waschen. Noell steuert auch noch etwas dazu bei uns so sitze ich auf der Rückbank unseres Cockpits mit dem Waschzuber zwischen den Füßen und Wasche die Wäsche mit 1a Ozeanseewasser. Dank des Waschmittels funktioniert das aber trotzdem sehr gut. Gespült wird natürlich auch mit Seewasser und nur ganz zum Schluß habe ich die Wäsche noch zweimal mit Wasser aus unseren Tank nachgespült, um das Salz möglichst ganz aus der Wäsche zu bekommen. In der warmen Nachmittagssonne in Verbindung mit der frischen Brise, die heute weht, trocknet die Wäsche sehr schnell.

Montag 5. Dezember

14° 18,5′ N, 048° 39,4′ W 1200 UTC

Auch wenn wir St.Lucia immer näher kommen (heute Mittag waren es noch 716 Seemeilen), so wird die Zeit doch langsam etwas lang. Allerdings wird uns auch nicht unbedingt langweilig. Weit im Norden hat sich ein Tiefdruckgebiet entwickelt und das wirbelt unsere bisherigen Wettervorhersagen kräftig durcheinander. Den ganzen Tag schon entwickeln sich rund um uns herum Cumuluswolken und bei meiner ersten Nachtwache mit Noell erwischt uns dann der erste Squall. Ein Squall ist eine für dieses Seegebiet typische lokal sehr begrenzte Wetterzelle mit heftigem Wind bis hin zu Sturmböen und sinnflutartigen Regenfällen. Squalls ziehen typischerweise sehr schnell übers Wasser und sind auch nicht weiter gefährlich, wenn man sie rechtzeitig kommen sieht und entsprechend die Segel refft. Wir haben ihn auf dem Radar gerade noch rechtzeitig kommen sehen (der dichte Regen ist auf dem Radar super gut zu erkennen) und haben die verbleibenden 4 Minuten dazu genutzt, Vorsegel und Großsegel zu reffen. Kaum sind wir damit fertig und ich hinter dem Steuer (ein Squall ist nichts für den Autopiloten, da er mit einer Änderung der Windrichtung von bis zu 40° einhergeht) als auch schon der Regen einsetzt. Wir haben zwar ein Biminitop über dem Cockpit aber da der Regen praktisch waagrecht übers Wasser fliegt, bin ich trotzdem binnen 1 Minute klatschnaß. Bei 28° Regentemperatur aber auch nicht gerade ein Drama. Von da an sammeln wir die Squalls regelrecht ein. Die ganze Nacht und auch den kompletten Dienstag laufen wir von einem Squall zum nächsten. Das bedeutet jedes Mal erst die Segel reffen und danach wieder ausreffen. Wir haben genug zu tun und sind am Abend entsprechend platt. Dafür aber war das Naturschauspiel der Wokengebilde um uns herum spektakulär und einmalig. Wetter einmal anders und sprichwörtlich hautnah.

Dienstag 6. Dezember

14° 19,4′ N, 051° 09,2′ W 1200 UTC

Während uns die Squalls tagsüber in Atem halten bekommen wir mal wieder Gäste an Bord. Eine Gruppe kleiner Vögel – ähnlich unseren Spatzen – suchen bei uns Unterschlupf vor dem Wetter und begleiten uns die Nacht über. Jetzt, wo wir dem Land wieder näher kommen, werden auch die Tierbegegnungen wieder mehr. Neben unseren Spatzen fliegen immer wieder Seevögel an uns vorbei. Sie sind auf der Jagd nach kleinen Fischen und es ist schön zu sehen, wie sie Ihre Beute erspähen, dann wie ein Pfeil ins Wasser schießen und mit ihrer Beute im Schnabel wieder in die Höhe schwingen. Im Gegensatz zu unseren Spatzen haben sie an uns aber kein Interesse.

Was die Fische anbelangt, so ist unsere Ausbeute bisher sehr mager. Die einzigen regelmäßigen Begleiter sind sogenannte fliegende Fische – kleine Fische mit größeren Seitenflossen, die es ihnen ermöglichen, bis zu 100 m übers Wasser zu gleiten. Ein paar Mal beobachten wir sogar ganze Schwärme von 8-10 Fischen, die im Gleitflug übers Wasser schießen. Einige Pechvögel landen dabei bei uns an Deck und überleben das leider nicht.

Ansonten konnten wir bisher eine Gruppe von Delphinen bewundern, die sich rund um unser Schiff tummelten und offensichtlich mit uns spielen wollten. Da wir aber weder aus dem Wasser springen noch sonst irgendwelche Kapriolen im Wasser vollführen, wird es Ihnen mit der Zeit zu langweilig und sie ziehen weiter.

Noell hat die Hoffnung nicht aufgegeben, nach unserer ersten Begegnung mit einem Orka noch einmall Wale zu sichten aber da ist bisher leider nichts daraus geworden. Er verspricht sie mir jeden Tag, da wir jetzt wieder näher an Land sind, Seevögel auftauchen und was für Zeichen er sonst noch alles ausmacht. Da wir diesbezüglich eine kleine Wette am Laufen haben, schuldet er mir jetzt schon 4 Rumpunsch in St.Lucia.

Mittwoch 7. Dezember

14° 25,0′ N, 052° 55,1′ W 1200 UTC

Nach dem aufregenden gestrigen Tag ist heute wieder weitgehend Flaute angesagt. Wir motoren seit gestern Abend wieder – nur unterbrochen von den laufenden vergeblichen Versuchen unseres Skippers, etwas zu segeln. Das läuft dann so, dass die Segel hochgezogen und der Motor ausgeschalten wird. Dann stellt man fest, dass fürs Segeln nicht genug Wind ist und wir mit dem verbliebenen Speed noch zwei Wochen bis St.Lucia brauchen (was man natürlich auch den Instrumenten hätte entnehmen können). Dann werden die Segel wieder gestrichen und der Motor wieder angeworfen. Das kostet natürlich alles eine Menge Zeit und der Samstag als wahrscheinlicher Ankunftstag geht heute mit diesen vergeblichen Versuchen drauf. Aktuell dümpeln wir gerde wieder mit 3 ½ – 4 Knoten unserem Ziel entgegen. Mike sitzt derzeit an Deck und geht seiner Lieblingsbeschäftigung nach: er doziert über seine 20-jährige Racing Erfahrung im Segeln. Nach den Erfahrungen auf unserem Törn glaube ich allerdings nicht, dass er jemals eines gewonnen hat…

Eines der Dinge, die mich am Ozeansegeln besonders begeistern, ist der Rundumblick. Nach allen Seiten nur Meer, Wellen, Wolken und ganz besonders die sensationellen Sonnenauf- und Untergänge. Manchmal hat man sogar besonderes Glück und erwischt einen richtigen Mondaufgang. Schöner geht wirklich nicht mehr.

 

Donnerstag 8. Dezember

13° 55,5′ N, 054° 16,3′ W 1200 UTC

Der Wind hat sich zum Glück etwas stabilisiert. Wir machen wieder konstant Fahrt unter Seglen. Leider kommt er nicht aus der besten Richtung und so ist unser Kurs deutlich zu weit südlich. Das bedeutet, dass unser VMG (Velocity Made Good, siehe oben) nur bei aktuell ca. 4 kn liegt und wir uns St. Lucia nurmehr mit 100 sm pro Tag nähern. Immerhin besser als die katastrophalen 79 sm von gestern auf heute. Die Squals, die uns bisher regelmäßig beschäftigt haben, liegen wohl auch inzwischen hinter uns. Zumindest haben wir in den letzten 8 Stunden keinen mehr direkt erwischt und auch am Horizont sind keine mehr zu sehen. Ganz offensichtlich hingen sie mit den Ausläufern der Kaltfront des Tiefs über dem Atlantik zusammen, die wir inzwischen hinter uns gelassen haben.

Da wir jetzt frühestens am Sonntag, wenn nicht am Montag erst ankommen, habe ich meine regelmäßigen 2-3 tägigen Duschen auf Meerwasser umgestellt. Das sieht dann so aus, dass ich mir mit zwei bis drei Pützen (Pütz = Eimer) Wasser aus dem Atlantik hole und in einen großen Eimer fülle. Mit dem geht es dann in die Dusche. Mit einem Schöpfbecher schütte ich mir das Wasser dann über den Kopf und seife micht mit einem Waschlappen und einem speziellen Meerwasser-Duschgel ein (Tausend Dank dafür an Marc und Beckie). Die Seife wird dann wieder mit Meerwasser abgespült und zum Schluß kommen noch 3 Becher Wasser aus den Tanks um das Meerwasser abzuspülen. Das funktioniert hervorragend und ich komme mit so wenig Wasser aus, dass ich jetzt wieder auf täglich Duschen umstellen werde.

Freitag 9. Dezember

13° 07,4′ N, 056° 12,9′ W 1200 UTC

Heute ist ein besonderer Tag. Er beginnt zunächst mit gutem Wetter, dass uns seit der Nacht gut voranbringt. Das ist heute besonders wichtig, da wir uns dem Punkt nähern, ab dem wir rein aus Motorkraft mit dem verbleibenden Sprit St. Lucia erreichen können. Für die nächsten zwei Tage ist nämlich mehr oder weniger komplette Flaute angesagt und es wäre äußerst unschön, so kurz vor dem Ziel (Stand heute 1200 UTC noch 2803 sm) noch 2 Tage zusätzlich auf dem Atlantik herumzudümpeln. Nachmittags um 1600 Uhr ist es dann soweit. Der Wind schläft ein und wir starten den Motor. Hochgerechnet mit einer Geschwindigkeit von geschätzten 5,2 Knoten wären wir übermorgen Nachmittag rechtzeitig zum Sundowner in St. Lucia. Was für eine Aussicht!

Zwei Stunden später wird dann plötzlich der Motor abgestellt. Ich kann es nicht fassen. Wollen wir nie ankommen? Es stellt sich heraus, dass der Skipper total nervös ist, ob er sich mit dem Sprit nicht vielleicht doch verkalkuliert hat (heute morgen hieß es noch, dass wir für fast 4 Tage Sprit im Tank haben…). Also machen wir jetzt kurzerhand Nägel mit Köpfen und ersetzen die etwas vage Tankanzeige durch einen eigenen Blick in den Tank. Zehn Minuten später ist meine Koje leergeräumt, der Tank freigelegt und die Deckplatte abgeschraubt (14 Schrauben, gute englische Wertarbeit). Es bestätigt sich, dass wir tatsächlich noch für ca. 100 Stunden Sprit im Tank haben. Puuhh. Die Kollegen schmeißen sofort die Maschine wieder an, noch bevor ich die Platte überhaupt wieder angeschraubt habe und jetzt kann uns eigentlich nur noch ein Motorschaden stoppen.

Leider hält die Beruhigung beim Skipper nicht lange an und so werden wir ab der Nacht verpflichtet, alle halbe Stunde die Tankanzeige zu kontrollieren. Nach meinen Erfahrungen funktioniert sie ausgezeichnet, der Skipper ist davon jedoch nicht überzeugt. Vielleicht sollte er sich mal an die Anleitung zum Messen halten… . Ganz dringend werden wir dazu angehalten, ab einem Schwellenwert von 5 sofort Mike zu wecken, damit er von einem Tank auf den anderen umstellen kann. Klingt vernünftig, wird jedoch wie immer nicht eingehalten. Statt dessen stellen wir bereits bei dem Erreichen von Wert 7 um und zwar, in dem wir die beiden Tanks miteinander verbinden. Damit bleibt dann leider doch wieder ein Rest von Unsicherheit und das Thema “Motor aus und Segel setzen” kommt wieder auf. Die Crew  hat inzwischen aber die Nase voll und will nur noch ankommen und so wird das Thema schlicht im Keim erstickt.

Eigentlich wäre jetzt unter Motor auch eine gute Gelegenheit zum Angeln. Da wir ja quasi Schleppangeln betreiben sollte nämlich erstens die Fahrgeschwindigkeit nicht zu hoch sein und sie sollte sich zweitens schnell und einfach reduzieren lassen, wenn man einen Biss hat. Ansonsten besteht die Gefahr, dass man die Fisch wieder verliert und das will weder der Fisch noch wir. Als Köder verwende ich einen Gummitintenfisch der mit einer LED ausgestattet ist, die im Wasser blinkt. Leider schwimmt aber seit heute Nachmittag wieder Seegras auf dem Wasser. Dieses sogenannte Saragossagras treibt in Büscheln auf dem Wasser und formiert sich manchmal zu regelrechten Teppichen. Das sieht dann echt verrückt aus und ist auch nicht ganz ungefährlich, wenn man gerade motort, da das Seegras die Filter vom Kühlwasser verstopfen kann. Beim Angeln stören die Seegras-Büschel ungemein, da sie sich regelmäßig im Köder verfangen. Dann muss man den Köder einholen um das Büschel zu entfernen. Da die Büschel ganz schön groß sind, ist das bei entsprechender Fahrt ein kraftraubender Akt.

Am Abend werden wir schließlich mit einem der wunderbaren Sonnenuntergänge vertröstet, die uns immer wieder begleiten.

Samstag 10. Dezember

13° 31,9′ N, 058° 26,7′ W 1200 UTC

Ich habe mich bisher mit Kommentaren zum Essen an Bord mächtig zurückgehalten. Einmal muss es aber doch raus. Skipper Mike hat in der im eigenen Art die gesamte Verpflegung nicht nur eingekauft sondern auch das Essen komplett durchgeplant. Leider ohne uns vorher zu konsultieren. Da Mike die englische Küche liebt und Fertiggerichte überaus praktisch findet, kann man sich schon in etwas vorstellen, was das für die Kulinarik an Bord bedeutet. Gelinde gesagt ist das Ganze etwas gewöhnungsbedürftig. So gibt es zu jedem warmen Gericht entweder Chips oder Brot dazu. Bohnen sind ganz offensichtlich neben Sandwiches auch ein Nationalgericht. Ansonsten dominieren bei uns Fertiggerichte (Lasagne aus dem Discounter) und Futter aus der Dose. Üblich ist es auch, mehrere Beilagen beliebig zu kombinieren. So gibt es eigentlich immer mindestens zwei wenn nicht drei verschiedene Beilagen auf den Teller.

Zunächst einmal wird großen Wert darauf gelegt, dass wir zwei gemeinsame Mahlzeiten am Tag haben. Wobei ich die Bezeichnung für den Lunch angesichts der Mengen völlig übertrieben finde. Dann besteht fast jedes Essen aus einer Kombination verschiedener Dinge, die eigentlich keinen Bezug zueinander haben. So gibt es beispielsweise einen Wrap auf dem sich etwas Reis und ein Würstchen befinden. Daneben dümpeln auf dem Teller noch zwei Kartoffeln (klein und ungeschält) oder ein paar Chips oder Nachos. Letzteres gehört sowieso zu jeder zweiten Mahlzeit dazu und wurde auch schon zweimal beim Dinner als Vorspeise aufgetischt. Kein Witz.

Zum Bergfest (=Halbzeit) gab es ausnahmsweise sogar einen grünen Salat zum Essen. Leider ist es bei den Engländern offensichtlich nicht üblich, diesen mit Dressing anzumachen. Was soll man dazu sagen…

Sonntag 11. Dezember

14° 04,4′ N, 060° 57,0′ W 1200 UTC (St. Lucia)

Ich bin heute bereits zwei Stunden vor meiner Wache auf und im Cockpit. Der Rest der Crew sitzt ebenfalls bereits da und wir schauen, wie sich St. Lucia im Morgengrauen aus dem Dunkel auftaucht. Es ist ein super Gefühl, nach so vielen Tagen auf See wieder Land zu sehen – und dazu noch unser Ziel. Die Stimmung ist super gut und wir machen gute Fahrt. Meine Wacht beginnt um 8 Uhr Ortszeit und ich lasse es mir nicht nehmen, selbst am Steuer zu stehen. Wir umrunden die Nordspitze von St. Lucia, melden ordnungsgemäß bei Rally Control unsere bevorstehende Ankunft über Funk und …. Scheiße.

Die Motorleistung sinkt auf einemal rapide ab. Wir machen kaum noch Fahrt. So kurz vor dem Ziel und relativ nahe an den Felsen von Pigeon Island. Wir können es nicht fassen. Mike vermutet ein Problem mit der Hydraulik der Gangschaltung und wir versuchen mit mehreren Motorstarts und Vorwärts-/Rückwärts fahren das Problem zu lösen. Da stelle ich auf einmal fest, dass jetzt auch das Ruder nicht mehr frei beweglich ist. Noell hat in der Zwischenzeit den richtigen Richer gehabt und hinter dem Boot ins Wasser geschaut. Und richtig, wir haben uns eine alte Fischerleine eingefangen. Inzwischen ist uns bereits der Fotograf zu Hilfe geeilt und längseits gegangen, der mit seinem Dinghy die Boote bei der Ankunft fotografiert und auch die Kali – ein schweizer Segelschiff – ist direkt vor der Ziellinie umgedrehte und liegt jetzt Standby in etwas 50 m Entfernung. Während Mike sich noch mit dem Fotograph bespricht, tausche ich meine Shorts gegen die Badehose und schnappe  mit Taucherbrille und Schnorchel. Das Wasser ist überraschend warm und nach dreimaligem Tauchen habe ich die Leine aus dem Ruder herausgeschnitte und wir sind wieder frei.

Dich Erleichterung ist riesig und ehe wir es uns versehen, sind wir vor der Ziellinie. Mike möchte unbedingt unter Segeln über die Linie fahren und so ziehen wir ein letztes Mal alle Segel hoch und schleichen buchstäblich im Schneckentempo der Ziellinie entgegen. Ob das sein musste sei mal dahingestellt. Auf den Fotos ist jedenfalls deutlich zu sehen, dass die Segel wie nasse Lappen herunterhängen und von Segeln keine Rede sein konnte.

St. Lucia

Unser Anlegemanöver klappt problemlos und um 11:30 drückt uns das ARC Empfangskomitte auf dem Steg endlich den lang ersehnten Rumpunsch in der Hand. Nach 22 Tagen und über 3.000 sm einfach nur genial.

Wie es jetzt weitergeht und warum vor zuviel Rumpunsch zu Recht gewanrt wird erfahrt ihr dann im nächsten Kapitel dieses Blogs.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Juliane Schöbe

    Hallo Puffi, habe gerade mit Begeisterung Deinen Blog gelesen, schön dass Ihr heil und gesund angekommen seid und anscheinend richtig Glück mit dem Boot hattet. Viele Grüße aus good old Germany und Frohe Weihnachten 🎄 Juliane

  2. Nicole

    Hi Stivi und Crew, vielen Dank fürs teilen eurer Erlebnisse!
    Klingt aufregend und Natur-schön.

    Habt eine gute Zeit, einen entspannten Jahresausklang und guten Rutsch ins Neue Jahr!
    Herzliche Grüße Nicole

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